Sozialer Fortschritt geht nur gemeinsam: Die Bürgerversicherung

Veröffentlicht am 10.11.2010 in Gesundheit

Schwarz-Gelbe Gesundheitspolitik: Mehr Bürokratie für mehr Ungerechtigkeit! Das SPD-Präsidium hat folgenden Beschluss gefasst:

In dieser Woche will die schwarz-gelbe Koalition die sog. Gesundheitsreform im Bundestag verabschieden. Diese „Reform“ zerstört die tragenden Säulen der gesetzlichen Krankenversicherung: das Sachleistungsprinzip, die einkommensabhängigen Beiträgen und den gleichen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung. Damit wird mit dem gesellschaftlichen Grundprinzip der Solidarität gebrochen, das unser Land stark gemacht hat und schwerste Krisen zu überwinden half. Diese Politik wirft unsere Gesellschaft weit zurück, weil soziale Gräben geöffnet werden, wo es sozialen Fortschritts bedarf, um sie zu schließen.

Sieben Gründe, warum die SPD die Gesundheitsreform von Schwarz-Gelb ablehnt und bei einer erneuten Regierungsbeteiligung rückgängig machen wird:

1. Aufkündigung der Solidarität:

Mit der Kopfpauschale wird mehr Ungerechtigkeit, mehr Bürokratie und weniger Nachhaltigkeit in der Finanzierung des Gesundheitssystems geschaffen. Die Einführung der Kopfpauschale verschärft die Ungerechtigkeiten im Gesundheitssystem dramatisch. Das solidarische Grundprinzip, wonach starke Schultern mehr tragen als schwache, wird ausgehebelt. Während heute alle Menschen bis zur Beitragsbemessungsgrenze prozentual gleich belastet werden, bedeutet die Kopfpauschale, dass je niedriger das Einkommen ausfällt, desto größer die Belastung wird. Das ist die Umkehrung des Solidarprinzips. Im Ergebnis wirkt die Kopfpauschale wie eine Einkommens- oder Rentenkürzung mit dem Effekt, dass je niedriger das Einkommen ist, desto stärker die Kürzung ist! Für einen Rentner mit 800 Euro Rente bedeutet eine Kopfpauschale von 40 Euro eine Rentenkürzung von 4,8 Prozent, während ein Rentner mit 2000 Euro Renteneinkommen um 2 Prozent mehrbelastet wird.(*) Verschärfend kommt hinzu, dass Besserverdiener durch die steuerliche Absetzbarkeit aller Krankenversicherungskosten faktisch niedrigere Kopfpauschalen zahlen.

Experten prognostizieren, dass die Kopfpauschale schon in wenigen Jahren eine Mehrheit der Haushalte von staatlichen Transferleistungen abhängig macht. Schon bei einer durchschnittlichen Kopfpauschale von 30 € werden mehr als 75 % aller Rentnerinnen und Rentner auf Transferleistungen angewiesen sein.

Der Sozialausgleich, der finanzielle Überforderung verhindern sollte, ist eine Mogelpackung. Er wird nicht annähernd die tatsächlichen Mehrbelastungen der Menschen decken, weil er an Durchschnitts- und nicht an den tatsächlichen Belastungen ausgerichtet ist. Stattdessen verursacht der Sozialausgleich unnütze Bürokratie für Krankenkassen und Arbeitgeber. Die steuerliche Beteiligung der Gutverdiener bleibt eine Luftbuchung – es wird sie nicht geben. Stattdessen müssen die Versicherten den Sozialausgleich aus ihren Beiträgen selbst bezahlen, was in einer Spirale zur strukturellen Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und damit zu Leistungskürzungen führen wird.

Es wird vorgetäuscht, dass Besserverdienende mehr zum sog. Sozialausgleich beitragen als Geringverdienende. Das wäre aber nur dann richtig, wenn sie mehr Steuern als heute zahlen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie werden durch die Kopfpauschale entlastet und wenn es nach FDP, CSU und Teilen der CDU ginge, sollen sie künftig noch weniger Steuern zahlen. Stattdessen zahlen in Zukunft immer weniger Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen immer mehr Beiträge für ein immer schlechter werdendes Gesundheitssystem. Im Ergebnis schafft Schwarz-Gelb viel Bürokratie, um das System ungerechter zu machen! Die gesamte Finanzierungsreform belastet die Versicherten, um die Arbeitgeber zu entlasten. Ein Mehr an Nachhaltigkeit kann dadurch von niemandem glaubhaft argumentiert werden. Wenn die Kopfpauschalen zu teuer werden, werden Leistungskürzungen die Folge sein.

2. Aufkündigung der paritätischen Finanzierung:

Die paritätische Finanzierung ist ein grundlegendes Prinzip der sozialen Sicherung. In Zukunft werden die Arbeitgeber komplett aus der Mitverantwortung für alle weiteren Kostensteigerungen entlassen. Die Versicherten müssen für alle weiteren Kostensteigerungen alleine aufkommen. Nennenswerte Arbeitsmarkteffekte kann dies nicht auslösen.

Unabhängige Berechnungen zeigen, dass der Arbeitgeberanteil der gesetzlichen Krankenversicherung an einer Handwerkerstunde selbst im Hochlohnbundesland Baden-Württemberg nur 98 Cent betragen (bei Arbeitskosten von ca.54 Euro/Stunde).

Die Beteiligung der Arbeitgeber an der Finanzierung der Krankenversicherung hat wichtige strukturelle Auswirkungen auf eine vernünftige Ausgabenentwicklung und somit auf eine volkswirtschaftlich vertretbare Beitragshöhe. Wenn die Arbeitgeber zukünftig aus der Mitverantwortung für die Finanzierung des Gesundheitssystems entlassen werden, wird dies spürbare Ausgabenzuwächse im Gesundheitssystem zur Folge haben. Ebenso werden die Tarifauseinandersetzungen um die Frage der pauschalen Gesundheitskosten belastet werden. Die verstärkte Belastung der Versicherten wird sich kaufkraftschwächend und damit wachstumshemmend auswirken. Und wer gerade wie die Arbeitgeber, den Arbeitnehmern immer mehr Flexibilität abverlangt, muss im Gegenzug an der sozialen Absicherung der damit einhergehenden Risiken beteiligt sein.

Jüngste Untersuchungen des wissenschaftlichen Instituts der AOK haben ergeben, dass immer mehr Menschen vor allem über psychische Belastungen am Arbeitsplatz klagen – jeder vierte Arbeitnehmer leidet demnach unter arbeitsbedingten Stress- oder Krankheitssymptomen.

3. Mit der Vorkasseregelung wird die Drei-Klassen-Medizin eingeführt.

Statt ein einheitliches Versicherungssystem zu schaffen, das hilft Über- und Fehlversorgung bei Privatversicherten und Unterversorgung bei gesetzlich Versicherten abzubauen, schafft Schwarz-Gelb nun zusätzliche soziale Gräben innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit der Einführung der Vorkasseregelung wird das Gesundheitssystem zu einem Drei-Klassen-System umgebaut. In Zukunft droht, dass nur noch Privat- und Vorkassepatienten rechtzeitig Termine bekommen. Die Freiwilligkeit, am Vorkasseverfahren teilzunehmen, wird damit zum indirekten Zwang. Gleichzeitig gibt Vorkasse den Ärzten die Möglichkeit, überteuert abzurechnen. Wo die Patienten bislang durch das mit ihren Beiträgen bereits bezahlte Sachleistungsprinzip gar nichts mit der Kostenerstattung zu tun hatten, müssen sie zukünftig für die Mehrkosten von überteuerten Rechnungen und unnützen Behandlungen zusätzlich zu Beitrag und Kopfpauschale allein aufkommen und sich um Arztrechnungen selbst kümmern.

Experten schätzen, dass Ärzte per Vorkasse um ca. 30 Prozent zu Lasten der Patienten die Arztrechnungen verteuern werden. Die Versicherten wissen das, deswegen lehnen 61 Prozent die Vorkasse ab (Widomonitor 1/2010).Das Vorkasseverfahren ist einer der Grundwebfehler des PKV-Systems. Die PKV klagt über massive Kostensteigerungen bei Arzneimitteln und ambulanten Leistungen, die medizinisch nicht gerechtfertigt sind. So stehen Laborkosten von 126 Euro/jährlich für Privatversicherte, Laborausgaben von 26 Euro im vergleichbaren Zeitraum für gesetzlich Versicherte gegenüber – gerade mal 20 Prozent derselben. Medizinisch sind diese Unterschiede nicht erklärbar, gerade weil die PKV eine bessere Risikostruktur aufweist.

Das Beispiel zeigt eindeutig, dass Vorkasse eben nicht zu mehr Transparenz und zu Einsparungen führt, und dass die GKV und das ihr noch immanente Sachleistungsprinzip vor Überteuerung und Überversorgung schützen. Die Versicherten wissen das: Schon heute fühlen sich doppelt so viele Privatpatienten als Opfer von unnützen Behandlungen (ca. 17 Prozent) im Gegensatz zu gesetzlich Versicherten (8 Prozent) (Widomonitor 1/2010).

Für die Struktur des Gesundheitssystems hat die Vorkasseregelung somit dramatische Auswirkungen. Wo bislang Standards zur Verbesserung der Behandlungsqualität durchgesetzt und kontrolliert werden konnten, ist der Arzt mit der Vorkasse keiner Kontrollinstanz mehr zur Rechenschaft verpflichtet, solange die Patienten bezahlen. Patienten sind heute mündiger und informierter und wir unterstützen die Selbstbestimmung: Aber gerade bei schweren Erkrankungen können sie dem Arzt nicht auf Augenhöhe begegnen und den Nutzen einer Therapie nicht beurteilen. Sie werden von einem Arzt, gerade bei einer schweren Erkrankung, meistens jedwede Therapieempfehlung akzeptieren – auch wenn der wissenschaftlich belegte Nutzen zweifelhaft ist. Es ist ein schwerer Fehler, die Fehlkonstruktionen des privaten Krankenversicherungssystems auf die GKV zu übertragen, der mehrfach zu Lasten der Patienten geht: Verteuerung und Fehlbehandlung für Vorkassepatienten sowie Leistungsverschlechterung für Versicherte, die sich Vorkasse nicht leisten können.

4. Einseitige Vorteile durch Klientelpolitik für die PKV

Kostensteigerungen und somit Prämiensteigerungen, die weit über dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung liegen, sind ein klarer Beleg: Das bisherige Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung ist in der Krise!

In Einzelfällen mussten die Prämien der PKV um bis zu 20 Prozent in einem Jahr angehoben werden. Im Durchschnitt betrug die Prämiensteigerung der PKV in der letzten Dekade rd. 5 Prozent jährlich – im selben Zeitraum sind die Beitragssätze der GKV um 2 Prozent gestiegen.

Die Kostensteigerung bei Arzneimittelpreisen und Arzthonoraren trifft die PKV härter, weil dieses System bislang keine adäquaten Kostenkontrollmechanismen kennt oder mangels Sachleistungsprinzip durchsetzen kann. Geradezu hilfeschreiend fordert die PKV nach gleichen Kostendämpfungsinstrumenten im Arzneimittelbereich, im Laborkostenbereich und wohl zukünftig auch im Bereich der ambulanten Versorgung. Die Übernahme von mehr sozialen Risiken lehnt sie dagegen ab. Ein System, das nur an gesunden und jungen Versicherten interessiert ist, ist nicht zukunftsfähig. Im freien Markt würde es zu Grunde gehen. Zugleich erleben gesetzlich Versicherte in der täglichen Praxis, wie Privatversicherte bevorzugt werden. Das ist ungerecht. Im Wartezimmer muss die Krankheit eines Menschen über die Schnelligkeit seiner Behandlung entscheiden, nicht der Versichertenstatus.

Doch auch Privatversicherte sind längst nicht mehr nur Privilegierte im Gesundheitssystem: Es gibt eine wachsende Zahl vor allem älterer Privatversicherter, die von drastischen Beitragssprüngen überfordert werden. Zudem übernehmen Versicherungen zunehmend Teile ihrer Behandlungskosten nicht mehr. Ebenso werden sie stärker Opfer von überflüssigen, zuweilen gefährlichen Behandlungen, die nur ausgeführt werden, weil diese den Ärzten zusätzliches Einkommen sichern. Viele Betroffene sind Beamte oder Selbständige mit normalen Einkommen. Sie bedürfen auch Unterstützung gegen die Willkür von Versicherungskonzernen und Leistungserbringern im Gesundheitssystem.

Statt die überholte Zweiteilung des Krankenversicherungssystems zu beenden, wird mühevoll versucht, das PKV-System zu Lasten der GKV zu stabilisieren. Bessere Wechselmöglichkeiten und Preisvorteile im Pharmamarkt verschaffen der PKV nur kurzfristig Luft. Die strukturellen Probleme des Systems werden nicht gelöst. Die Versicherten beider Versicherungen können dabei nicht gewinnen, sondern nur die Versicherungsunternehmen.

5. Schwächung von Patientenschutz und fairen Preisen im Arzneimittelmarkt

Deutsche Versicherte zahlen deutlich höhere Medikamentenpreise als in vergleichbaren Ländern der EU. Im Bereich der GKV wird mehr für Arzneimittel ausgegeben, als für die ambulante ärztliche Behandlung selbst. Dies muss beendet werden. Bundesgesundheitsminister Rösler ist als selbsternannter Preisbrecher im Arzneimittelmarkt gescheitert: Im Ergebnis hat diese Bundesregierung die im Aufbau begriffene wirksame Kosten-Nutzen-Bewertung z.B. durch die Beweislastumkehr bei der Nutzenfeststellung oder ersatzweisen Verhandlungen massiv geschwächt. Verbraucher, d.h. Ärzte und Patienten, können daher in Zukunft auf weniger unabhängige Informationen zur Wirksamkeit von Therapien zurückgreifen. Und Pharmaunternehmen können nach wie vor ihre neuen Medikamente zu hohen Preisen in den Markt bringen. Mit der Einführung von Mehrkosten-Regelungen wird im Arzneimittelmarkt die Tür für ein Grund- und Wahlleistungssystem geöffnet – zahlreiche Therapien müssen dann aus eigener Tasche bezahlt werden. Mit der Einführung des Kartellrechts gerade im Bereich der wirksamen Rabattverträge auf Arzneimittel wird ein Systembruch begangen. Bislang sind die Sozialgerichte für die GKV und damit das Vergaberecht maßgebend. Mit dem Kartellrecht dürften die Rabattverträge beschränkt und die Einspareffekte für die gesetzlich Versicherten aufgehoben werden.

6. Vorrang von einzelnen Gewinn- statt Patienteninteressen

Gewinner und Verlierer der Gesundheitsreform sind eindeutig verteilt. Schwarz-Gelb vertritt einseitig die Gewinninteressen der sog. Leistungserbringer: Pharmahersteller, Ärzte und Apotheker sowie der Arbeitgeber. Auch die privaten Krankenversicherungskonzerne bekommen Vorteile. Allein die gesetzlichen Krankenkassen müssen trotz immenser bürokratischer Mehrbelastungen eine wirkliche Nullrunde hinnehmen. Die ärztliche Vergütung wird trotz Sparzwangs insgesamt um über eine Milliarde Euro angehoben – jüngst wurden vom Bundesgesundheitsministerium nochmals rd. 100 Millionen Euro zusätzlich genehmigt. Die Pharmahersteller konnten ihre Interessen im Gesetzgebungsverfahren weitgehend durchsetzen. Die Einführung des Kartellrechts stellt z.B. allein bei den AOK’en zu erwartende Einsparungen von 500 Millionen Euro in Frage.

Auch die Besitzstandsinteressen der Apotheken werden gewahrt – echter Preiswettbewerb beim Arzneimittelvertrieb würde die Versicherten um Milliardenbeträge entlasten. Demgegenüber stehen milliardenschwere Mehrbelastungen für die gesetzlich Versicherten – die Privatversicherten werden entlastet. Allein durch die Beitragssteigerungen 2011 werden die gesetzlich Versicherten um rd. 6,3 Milliarden Euro belastet. Und alle kommenden Kostensteigerungen gehen zu 100 Prozent alleine zu Lasten der Versicherten.

Bei einer jährlichen Kostensteigerung im Gesundheitssystem von 4 Prozent erreicht die durchschnittliche Kopfpauschale in zehn Jahren 120 Euro/mtl. – fast alle GKV-Mitglieder müssten einen Sozialausgleich bekommen! (Quelle: IGKE) Damit hat die Reform eine eindeutige soziale Schieflage zu Lasten der kleinen und mittleren Einkommen. Sie müssen diese Politik mit höheren Beiträgen und zukünftig mit der Kopfpauschale bezahlen. Die Interessen der Versicherten für eine bessere Versorgung mit einem guten Preis-Leistungsverhältnis und bezahlbaren Beiträgen werden gegenüber Gewinninteressen einzelner Leistungserbringer hintangestellt.

7. Nicht zukunftsfähig: Die Privatisierung des Gesundheitssystems bedeutet Leistungskürzungen

Die Bundesregierung führt zahlreiche Regelungen ein, mit denen die GKV schrittweise in private Unternehmen mit Gewinnorientierung umgewandelt werden kann, wie die Einführung der Vorkasseregelung, die Kopfpauschale, die Stellung von Teilen der GKV unter das Wettbewerbsrecht oder die Vorteile für die PKV.

Durch die zunehmende Privatisierung des Gesundheitssystems drohen Leistungskürzungen: Die Qualität und der Umfang der Gesundheitsversorgung werden sich in Zukunft zunehmend am Einkommen der Patientinnen und Patienten ausrichten und nicht am medizinischen und pflegerischen Bedarf. Eine solche Politik geht massiv zu Lasten der chronisch Kranken und sozial Benachteiligten. Aus guten Gründen sind die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland daher bislang Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie sind nicht gewinnorientiert, sondern der Erfüllung ihrer sozialen Aufgaben verpflichtet. Die SPD lehnt die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung ab.

Statt die soziale Sicherheit in den verschiedenen Lebenssituationen gleichermaßen zu gewährleisten, vertieft die Bundesregierung die soziale Spaltung im Gesundheitssystem. Diese Politik hindert die Menschen in ihrer freien und flexiblen Lebensgestaltung. Keine der drängenden Zukunftsfragen wird dadurch gelöst. Das Schaffen von mehr Bürokratie, die Aufkündigung der Solidarität, die Privatisierung des Gesundheitssystems und der Abbau von Verbraucherschutz sind keine Problemlösungen, sie werden zu einer Belastung in der Zukunft. Durch die Aufkündigung der Solidarität wird die gesundheitliche Versorgung für die Mittelschicht, die sich Wohlstand hart erarbeitet hat, massiv verteuert und zugleich für alle gesetzlich Versicherten massiv verschlechtert. Die sozialen Folgeprobleme müssen ebenso von der Allgemeinheit getragen werden.

Eine gute und gleiche Gesundheitsversorgung ist in unserem Land durch das Sozialstaatsgebot ein grundgesetzlicher Auftrag. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 10. Juni 2010 klar hervorgehoben.

Für einen neuen sozialen Fortschritt: Die Bürgerversicherung

Kaum ein Politikfeld ist so sehr von Sorgen und Ängsten geprägt, wie das der Gesundheitspolitik. Habe ich teil am medizinischen Fortschritt? Steht mir auch morgen noch die bestmögliche gesundheitliche Versorgung offen? Kann ich mir eine notwendige Behandlung leisten? Diese Fragen treiben viele Menschen um. Verantwortliche Gesundheitspolitik kümmert sich deswegen nicht bloß um abstrakte Finanzierungstechnik innerhalb der Sozialsysteme, sondern versichert Bürgern glaubhaft, dass der medizinische Fortschritt ein Fortschritt für alle sein wird. Niemand wird im Krankheitsfall alleine gelassen, niemand muss sich verschulden, um eine lebensrettende Operation zu finanzieren.

Dieses Ziel lässt sich nicht dadurch erreichen, dass gesundheitliche Risiken individualisiert werden. Sicherheit in gesundheitlichen Fragen gibt es nur dann, wenn möglichst alle Bürgerinnen und Bürger sich an der Versicherung beteiligen und einen Nutzen aus ihr ziehen – unabhängig vom Alter, vom Einkommen oder vom sonstigen sozialen Status. Die Absicherung im Krankheitsfall und – besser noch – das Verhindern seines Eintretens, ist eine gesellschaftliche Aufgabe und damit eine Frage der Solidarität. Das ist die Idee der Bürgersozialversicherung, die wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten entwickelt haben. Sie bedeutet einen sozialen Fortschritt in Gemeinsamkeit.

Die Bürgerversicherung stärkt das solidarische Prinzip, das tief in die bisherigen Strukturen unserer Sozialversicherungen eingegraben ist und das von einer überwältigenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ungebrochen unterstützt wird: 78,2 Prozent bejahen die Frage, ob Besserverdiener mehr bezahlen sollen als Geringverdiener. Nur 9,2 Prozent lehnen dies ab. Ebenso lehnen ca. zwei Drittel der Befragten risikoabhängige Beiträge oder Kopfpauschalen ab und sprechen sich für die Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger in die gesetzliche Krankenversicherung aus. 70,2 Prozent lehnen Leistungskürzungen ab. (Widomonitor 1/2010) Diese Zahlen zeigen eindeutig, dass die Bürgerinnen und Bürger ein solidarisches Gesundheitssystem wollen. Sie lehnen die Auslieferung ihrer persönlichen Gesundheit an den privaten Wettbewerb ab.

Mit der Konzeption der Bürgerversicherung entwickelt die SPD einen Vorschlag, wie wir die solidarisch-fortschrittlichen Prinzipien stärken können, die unseren Sozialstaat zu einem der leistungsfähigsten der Welt gemacht haben, die nach wie vor Grundlage unseres Wohlstandes sind und die seit gut anderthalb Jahrhunderten einen sozialen Grundkonsens in unserem Land prägen und der zu Recht als eine der größten kulturellen Errungenschaften unserer Zeit betrachtet wird. Wir wollen ein Gesundheitssystem, in dem Bürgerinnen und Bürger vorbehaltlos füreinander einstehen.

Die SPD hat im Jahr 2004 ein umfangreiches Konzept zur Bürgerversicherung vorgelegt, das bis heute Grundlage für die SPD-Gesundheitspolitik ist. In der Zeit der großen Koalition 2005-2009 haben CDU/CSU der umfassenden Stärkung der Solidarität massiv entgegengearbeitet. An Aktualität haben die Grundziele der Bürgerversicherung nichts verloren, im Gegenteil. Die gesellschaftliche Entwicklung macht die Einführung einer Bürgerversicherung notwendiger denn je. Deshalb ist unter der Leitung von Generalsekretärin Andrea Nahles eine Projektgruppe eingesetzt worden, die das Konzept der Bürgerversicherung unter den geänderten Rahmenbedingungen fortentwickelt und in die Leitidee einer Bürgersozialversicherung, die alle großen Sozialversicherungszweige umfasst, einfügt.

Insbesondere die Gesundheitsreform 2006 hat die Finanzierungsstruktur der Krankenversicherung entscheidend fortentwickelt und macht eine Weiterentwicklung des Bürgerversicherungskonzepts notwendig. Die Vorteile des damals eingeführten Gesundheitsfonds und des einheitlichen Beitragssatzes überwiegen: Es gibt keinen ruinösen Beitragswettbewerb der Kassen mehr. Die Kassen unterliegen einem gerechten Finanzkraftausgleich, der die unterschiedlichen Grundlohnsummen der Kassen nivelliert. Davon profitieren insbesondere die großen Versorgerkassen. Der Gesundheitsfonds bietet die Möglichkeit, Steuermittel ergänzend nach Bedarf unmittelbar für die Versorgung bereitzustellen. Während der Wirtschaftskrise hätte es sonst konjunkturell schädliche Beitragssatzanhebungen der Krankenkassen geben müssen. Der mit der Reform 2006 eingeführte morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich ist einfacher umzusetzen. An diesen Vorteilen halten wir fest. Daher wird eine zukünftige Bürgerversicherung auf der Grundlage der Reform von 2006 weiterentwickelt werden. Gleichzeitig lehnen wir Pauschalbeiträge, wie den Zusatzbeitrag ab. Durch eine ausreichende Deckung der Gesundheitsausgaben durch Beiträge und Steuermittel sind Zusatzbeiträge nicht notwendig, wie dies bis 2010 der Fall gewesen ist.

Ebenso haben sich die Arbeitswelt und die Vermögenssituation seit 2004 stark verändert. Insbesondere die Zunahme an selbständiger Beschäftigung, viel davon im prekären bis mittleren Einkommensbereich, macht eine gerechtere soziale Absicherung dieser Gruppe notwendig. Zugleich sind die Einkünfte aus Vermögen, die nicht zur sozialen Sicherung beitragen, stark angewachsen. Im Ergebnis wird die Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung immer schmaler und somit eine gute Versorgung für alle immer schwerer finanzierbar.

Der sinkenden Einnahmebasis steht ein rasanter, kostenintensiver medizinischer Fortschritt gegenüber. Für uns ist es zentrales Anliegen, dass der medizinische Fortschritt für alle verfügbar ist. Die solidarische Organisation der Krankenversicherung in der Bürgerversicherung ist somit kein Selbstzweck, sondern das Instrument, um die Verbesserung der medizinischen und pflegerischen Versorgung zu erreichen. Nur so kann dem wachsenden Bedarf an hochqualitativen medizinischen und pflegerischen Leistungen für alle entsprochen werden. Und nur so kann Nachfrage und damit das große wirtschaftliche Wachstumspotenzial, das der Gesundheitsbereich bietet, entfaltet werden. Die solidarische Absicherung der Gesundheitsrisiken ist für die SPD daher nicht nur Kostenfaktor, sondern Investition in die Zukunft.

Das Bürgerprinzip

Anders als in den meisten europäischen Ländern gab es in Deutschland keine allgemeine Krankenversicherung. Die gesetzliche Krankenversicherung entsprang in ihrer historischen Entwicklung aus einer Arbeiterversicherung, in die nach und nach weitere Personengruppen einbezogen wurden. Den Anspruch, alle Bürgerinnen und Bürger in ihren jeweiligen Lebenslagen gleich abzusichern, erfüllt die gesetzliche Krankenversicherung nicht. Das Beharren auf überholte Strukturen überprivilegiert die einen und benachteiligt andere. Besonders (Solo-)Selbständige müssen mehr für die Krankenversicherung aufwenden, während Wohlhabende immer noch wählen können, sich aus der sozialen Mitverantwortung zu entziehen. Andere Personengruppen haben Absicherungssysteme, die sich überlebt haben, wie die private Krankenversicherung, die im Grunde nicht mehr existenzfähig ist. Infolgedessen wird die Einkommensmittelschicht über Gebühr belastet.

Zudem verhindert die Zersplitterung des Sozialsystems, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr Leben frei und flexibel gestalten können. Einen großen Schritt haben wir mit der Reform 2006 damit erreicht, dass alle versichert werden müssen und keinem mehr der Schutz entzogen werden kann. Nun muss der nächste große Schritt hin zu einem gerechten solidarischen Versicherungsmarkt folgen, damit Versicherungspflicht im Einzelfall nicht zu finanzieller Überforderung führt. Nur ein einheitliches Sozialversicherungssystem, das den Bürgerinnen und Bürgern soziale Sicherheit unabhängig von ihrem Erwerbsstatus bietet, wird dem Anspruch nach sozialer Sicherheit in einer von vielfältigen Lebensmodellen geprägten, modernen Gesellschaft gerecht. Wer befürchten muss, durch neue Lebenssituationen auf soziale Sicherheit verzichten zu müssen, ist unfrei in seiner Lebensgestaltung. Dies zu verändern, ist unser Anspruch.

Wir nennen dieses Prinzip das Bürgerprinzip. Soziale Sicherung – hier auf die Krankenversicherung bezogen – darf nicht mehr an den Erwerbsstatus gebunden sein, sondern muss mit dem Bürgerstatus verknüpft sein. Der Gedanke entspricht dem Gleichheitsgrundsatz: Soziale Rechte sollen für alle gleichermaßen gewährt werden.

Das Bürgerprinzip soll das Leitbild für alle großen Sozialversicherungen werden - wissend und berücksichtigend, dass unterschiedliche Sozialversicherungszweige unterschiedliche Funktionsprinzipien im Beitrags- und Leistungsrecht haben. In diesem Sinne ist „Bürgersozialversicherung“ ein Leitbegriff für die großen Zweige der Sozialversicherung.

Sieben Eckpunkte der Bürgerversicherung im Gesundheitswesen

Für die Weiterentwicklung der Bürgerversicherung hat die Projektgruppe folgende Eckpunkte formuliert. Die detaillierte Ausgestaltung wird derzeit erarbeitet und im Frühjahr 2011 vorgelegt:

1. Eine Bürgerversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger. Mehr Mitgestaltung und Verbraucherschutz statt dem Vorrang einzelner Gewinninteressen.

Die SPD bekräftigt die Leitidee, dass eine moderne Krankenversicherung, die in allen Lebenslagen die gleichen sozialen Rechte gewährt, nur in einem einheitlichen Krankenversicherungssystem zu gewährleisten ist. Der Wettbewerb um die beste Versorgung muss aber ebenso gewährleistet sein. Deshalb wollen wir keine sogenannte Einheitskasse, wie uns Kritiker gern vorwerfen, sondern wir wollen gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Krankenkassen, um eine umfassende, solidarische Krankenversicherung anzubieten. Damit die Bürgerversicherung Akzeptanz und Legitimation hat, ist Transparenz über ihre Leistungsfähigkeit notwendig. In Zukunft darf es nicht mehr möglich sein, dass notwendige Leistungen mit dem Hinweis verwehrt werden, sie könnten in der solidarischen Versicherung nicht übernommen und müssten stattdessen privat gezahlt werden. Die Versicherten müssen wieder die Gewissheit gewinnen, dass alle notwendigen medizinischen und pflegerischen Leistungen in der Solidarität erbracht werden.

Klare Regeln, eine angemessene Honorierung und von der großen Mehrheit getragene und eingeforderte ethische Verhaltensgrundsätze sind die Basis eines solidarischen und leistungsfähigen Gesundheitssystems. Um dies zu erreichen, brauchen wir eine Verbreiterung der Mitbestimmung im Gesundheitssystem. Der Erosion der Selbstverwaltung von innen muss Einhalt geboten werden. Deshalb wollen wir das Prinzip der Selbstverwaltung so stärken, dass die Interessen der Versicherten noch besser als bisher einbezogen werden.

Ebenso wollen wir die unabhängige Patientenberatung sowie die unabhängige Versorgungsforschung massiv ausbauen. Im Zeitalter rapiden medizinischen Fortschritts brauchen die Patienten und Ärzte unabhängige Beratung und Informationen, um dauerhaft das notwendige Vertrauensverhältnis bewahren zu können. Mit einem Patientenrechtegesetz werden wir die rechtliche Stellung der Versicherten in der Bürgerversicherung stärken.

2. Bürgerversicherung für bessere Versorgung: Zwei-Klassen-Medizin abbauen:

Das grundlegende Ziel der Bürgerversicherung ist eine bessere Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger. In einem einheitlichen Krankenversicherungssystem haben alle Bürgerinnen und Bürger die gleichen sozialen Rechte. Niemand soll aufgrund seines Versicherungsstatus als Privat- oder Vorkassepatient bevorzugt behandelt werden: Über die Schnelligkeit und den Umfang der Behandlung darf allein die Schwere der Erkrankung bestimmen. Die Ausweitung des Solidarprinzips gewährleistet, dass die Qualität der
Versorgung ortsunabhängig für alle gewährleistet werden kann. Der beginnende Trend der Unterversorgung in strukturschwachen und der Überversorgung in reichen Regionen kann daher mit Hilfe der Bürgerversicherung gestoppt werden. Deshalb ist die Bürgerversicherung der richtige Weg, um die Zweiklassenmedizin abzubauen:

• Durch die Einführung einer einheitlichen Krankenversicherung mit einer einheitlichen Vergütungsordnung entscheidet in Zukunft die Krankheit eines Patienten über die Schnelligkeit seiner Behandlung, nicht der Versichertenstatus.

• Mit der Bürgersozialversicherung stellen wir eine gute, wohnortnahe Regelversorgung sicher, weil in einem einheitlichen solidarischen System in allen Regionen bedarfsgerecht in die Versorgung investiert werden kann. Besonders strukturschwache Regionen werden nicht abgekoppelt.

• Wir wollen vor allem in den Ausbau der flächendeckenden hausärztlichen Versorgung und der kinderärztlichen Versorgung investieren – sie sind das Rückgrat der medizinischen Versorgung.

• Insbesondere wollen wir integrierte Formen der Versorgung fördern, z.B. um chronisch Kranke besser zu betreuen und Versorgungslücken zu schließen.

• Durch die Ausweitung der Solidarität auf alle Bürgerinnen und Bürger wird auch in Zukunft die Teilhabe am medizinischen Fortschritt für alle möglich gemacht.

• Die Bürgerversicherung sichert Gleichheit beim Zugang zu Spezialisten. Die Ärztinnen und Ärzte können sich auf die Optimierung der Behandlung konzentrieren. Um die Behandlung von schweren und komplexen Krankheitsbildern zu verbessern, werden wir in die Bildung von Kompetenzzentren fördern. Der Zunahme arbeitsbedingter Krankheiten, insbesondere psychischer Beschwerden, muss entgegengewirkt werden. Durch die paritätische Mitverantwortung der Arbeitgeber in der Finanzierung der Bürgerversicherung wollen wir die Versorgung mit beruflichem Gesundheitsschutz fördern. Eine wirksame Präventionsstrategie beginnt in den Bildungseinrichtungen und setzt sich im Arbeitsleben und in der Lebensumfeldgestaltung in den Kommunen fort.

3. Die Bürgersozialversicherung stärkt die Solidarität und die Nachhaltigkeit der Einnahmen

Seit Jahrzehnten steht die gesetzliche Krankenversicherung vor dem Problem, dass sich die Ausgabensteigerungen ungefähr parallel zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts entwickeln und gleichzeitig die Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung immer geringer wird, weil der wachsende Teil der Vermögenseinkünfte am gesamten Volkseinkommen nicht berücksichtigt wird. Für die Finanzierung der Bürgerversicherung ergeben sich damit zwei Ziele: Erstens muss die Finanzierung gerechter werden, indem auch die großen Vermögen in die Solidarität einbezogen werden. Zweitens muss die volkswirtschaftliche Entwicklung besser in der Einnahmesituation der Krankenversicherung abgebildet werden, um somit mehr Geld in eine qualitativ hochwertige Versorgung für alle auch in Zukunft investieren zu können.

Die Grundfinanzierungsprinzipien der Bürgerversicherung, die Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger unabhängig vom Erwerbsstatus mit allen Einkommensarten, entspricht dieser Logik und wird fortgeschrieben. Dazu werden unbürokratische Umsetzungsmöglichkeiten geprüft, die auch den Grundsätzen der Solidarität und der paritätischen Finanzierung gerecht werden.

Im Gegensatz zu Vorwürfen unserer Kritiker wollen wir die PKV-Unternehmen nicht abschaffen. Sie können in einem solidarisch organisierten Bürgerversicherungsmarkt mitwirken. Vertrauensschutz für bislang Privatversicherte ist uns wichtig.

4. Die Bürgerversicherung sorgt für ein vertretbares Ausgabenwachstum und behält das Sachleistungsprinzip bei

Die Bürgerversicherung bedeutet für uns, das Sachleistungsprinzip beizubehalten, um zu verhindern, dass Menschen durch Krankheit finanziell überfordert oder ungleich behandelt werden. Vorkasseverfahren lehnen wir ab. Insbesondere sichert die Bürgerversicherung mit dem Sachleistungsprinzip die Durchsetzung fairer Leistungspreise und damit bezahlbarer Beitragssätze. Über das Sachleistungsprinzp wird mit der Bürgerversicherung die Möglichkeit beibehalten, die Qualität der Versorgung zu erhöhen, indem Fehl- und Überversorgung vermieden werden – auch so werden vermeidbare Ausgaben gespart. Ebenso sichert das Sachleistungsprinzip in der Bürgerversicherung niedrige Verwaltungskosten. Durch das Sachleistungsprinzip konnten auch bisher wirksame Kostenkontrollinstrumente in der gesetzlichen Krankenversicherung angewandt werden. Wir werden diese Kostenkontrolle weiter im Rahmen einer Bürgerversicherung fortschreiben und damit einen permanenten Ausgleich zwischen einer volkswirtschaftlich vertretbaren Beitragshöhe sowie dem Ausgabenwachstum im Gesundheitssystem schaffen. Insbesondere bei den Arzneimittelpreisen ist dies wichtig. Wir werden die Arzneimittelpreise schrittweise an europäisches Durchschnittsniveau anpassen, so dass kein deutscher Versicherter perspektivisch mehr als in europäischen Nachbarländern bezahlen muss.

Ebenso werden wir die unabhängige Kosten-Nutzen-Bewertung massiv ausbauen, um Patienten vor nutzlosen Therapien und überhöhten Preisen zu schützen.

5. Bürgerversicherung in der Pflege:

Die Bürgerversicherung wird auch in der Pflege eingeführt, um eine bessere Versorgung zu erreichen. Die Bürgerversicherung in der Pflege schafft durch die solidarisch verbreiterte Einnahmebasis die finanziellen Voraussetzung für die Umsetzung besserer, bedarfsgerechterer Leistungen, die mit der Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs einhergehen können. Die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs ohne die solidarische Verbreiterung der Einnahmen, ist eine bloße Schimäre.

Ein besseres Versorgungsniveau lässt sich nur mit zusätzlichem Geld erreichen. Eine kapitalgedeckte, verpflichtende, individuelle Pflegezusatzversicherung lehnen wir ab, da sie die solidarisch finanzierte Pflegeversicherung schwächt und langfristig im Pflegefall zu großer sozialer Ungleichbehandlung führt. Kurz- und mittelfristig entzieht sie zum Aufbau eines Kapitalstocks Geld aus dem Pflegesektor, was zu einer Verschlechterung der Versorgung und der Arbeitsbedingungen führt. Stattdessen werden Renditeinteressen der Versicherungswirtschaft bedient.

6. Fachkräftemangel vorbeugen, gute Arbeitsbedingungen schaffen!

Eine der zentralen Herausforderungen der Zukunft wird die ausreichende Anzahl von medizinischem und pflegerischem Fachpersonal sein. Wir dürfen die Augen nicht länger davor verschließen, dass es in der Gesundheits- und Pflegebranche zur zweithöchsten Anzahl arbeitsbedingter psychischen Erkrankungen kommt. Und wir müssen verstärkt das Problem angehen, dass ein Großteil der Pflege heute zu Niedriglöhnen oder zum Teil in der Illegalität erbracht wird. Insbesondere wenn wir für alle durch die solidarische Absicherung ein hohes Leistungsniveau erreichen wollen, ist eine frühzeitige Investition in ausreichend und gutes Personal notwendig. Eine beschäftigungspolitische Strategie im Gesundheits- und Pflegesystem ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Versorgungsziele der Bürgerversicherung. Umgekehrt schafft die Bürgerversicherung durch die solidarische Verbreiterung der Einnahmen die Voraussetzung dafür, dass in einem schärfer werdenden Wettbewerb der Branchen um qualifiziertes Personal genügend Arbeitskräfte gefunden werden können, weil auch die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung verbessert werden können. Deshalb wollen wir verbindliche, differenzierte Personalmindestzahlen für Krankenhäuser. Diese schaffen Sicherheit und gute Qualität in der Versorgung, gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten und erhöhen die Attraktivität des Arbeitsplatzes Pflege.

Zur Steigerung der Attraktivität gehört eine gute modular aufgebaute Ausbildung, die berufliche Entwicklungsmöglichkeiten sichert, ebenso dazu.

7. Verwaltungsverfahren entbürokratisieren und Versorgungslücken schließen.

Eine große Herausforderung stellt das Schließen von Lücken in der Versorgung dar: Sowohl innerhalb einzelner Zweige der Sozialversicherung als auch zwischen den Sozialversicherungszweigen. Menschen mit vielschichtigen Problemlagen bleiben oft in den Lücken der Nichtzuständigkeiten verschiedener Sozialversicherungsträger „hängen“. Ein langfristiges Ziel einer Bürgersozialversicherung muss es sein, schrittweise und kontinuierlich diese Versorgungslücken zu schließen, um eine integrierte Versorgung mit sozialen Dienstleistungen zu erreichen.

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(*) So bedeutet eine durchschnittliche Kopfpauschale von 20 Euro für einen Rentner mit 1000 Euro Rente einen Beitragssatz von 17,5 Prozent (bisher 14,9) wovon er 10,2 Prozent selbst trägt(bisher 7,9) und nur 7,3 Prozent auf den sog. Arbeitgeberbeitrag entfielen. Ein Rentner mit 1500 Euro Rente zahlt dagegen 16,8 Prozent und auf 2000 Euro Rente werden „nur“ noch 16,5 Prozent GKV-Beitrag fällig.

Sollte die Kasse allerdings 40 Euro Zusatzbeitrag verlangen – also 20 Euro mehr, als der durchschnittliche Zusatzbeitrag - liegen die Belastungen bei den o.g. Beiträgen bei 19,5, 18,1 und 17,5 Prozent.

Für einen „Sozialausgleich“ wären die Rentner bei diesem Beispiel nur berechtigt, wenn ihr Einkommen unter 1000 Euro läge. Auf eine Rente von 800 Euro würden bei o.g. Beispiel 4 Euro Sozialausgleich angerechnet. Somit bliebe bei einem durchschnittlichen Zusatzbeitrag die Belastung bei 2 Prozent. Würde die Kasse allerdings nicht 20 sondern 40 Euro Zusatzbeitrag verlangen, steigt die Belastung mit dann 36 Euro auf 20 Prozent GKV-Beitrag, wovon der Rentner 12,7 Prozent Arbeitnehmeranteil zu tragen hat (bislang 7,9 Prozent). Im Ergebnis bedeutet dies eine reale Rentenkürzung um 4,8 Prozent!

 

SPD

19.03.2024 09:56
Nord-Süd - Neu denken.
Wenige Tage nach seiner Reise nach Namibia, Südafrika und Ghana hat der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil auf der Veranstaltung "Nord-Süd - Neu denken" eine programmatische Rede zu einer modernen Nord-Süd-Politik gehalten.

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Wir kümmern uns darum, dass sich alle Generationen auf eine stabile Rente verlassen können. Denn: Wer viele Jahre hart arbeitet, muss auch im Alter gut davon leben können.

Rechtsradikale Kräfte werden immer stärker. Setze dich gemeinsam mit uns für Demokratie, Toleranz und Respekt ein und komme zu den Demonstrationen und Kundgebungen!

Gemeinsam kämpfen wir für Frauenrechte in Deutschland und Europa. Stärkste Stimme für Europa ist unsere Spitzenkandidatin Katarina Barley.